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Ich steige aus!

Warum immer mehr Mediziner den Arztberuf verlassen und was Technologie daran ändern könnte.

Wiederholt finden sich Artikel über die wachsende Menge an jungen Arbeitskollegen, die den Arztberuf an den Nagel hängen. “Übermüdung führt zu fehler”, “40 Prozent der Assistenzärzte geben an, mehr als elf Stunden pro Tag zu arbeiten”, “drei Viertel der befragten Assistenzärzte geben an, weniger als 30 Minuten Mittagspause zu machen” und weitere negativ konnotierte Erkenntnisse waren das Ergebnis einer im 2022 durchgeführten Umfrage vom VSAO (Verband schweizerischer Assistenz- und Oberärzte/innen) an 4500 Assistenzärzte/innen.

Diesbezüglich ist es nicht verwunderlich, dass die Aussteigerquote unter den Mediziner hoch ist. Erste Daten hierzu stammen aus einer Recherche vom Magazin “Profil” in Österreich, wobei von den initial 1400 Medizin-Absolventen/innen nach wenigen Jahren nur noch 900 im Berufsregister auffindbar waren. Auch gemäss einer älteren Umfrage vom gfs.bern aus dem Jahre 2016 steigen 8.4 – 12.9% der Mediziner aus der ärztlichen Tätigkeit aus. (1) 

Was sind die Gründe hierfür? Welche Massnahmen könnten diesen Trend aufhalten und was könnte eine (erfolgreiche und sinnvolle) Digitalisierung hierzu beisteuern?

Ein häufig genannter Grund ist die wachsende Bürokratie. Wie durch die Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) von einer jungen Kollegin zitiert, bestehe der Arbeitsalltag zu ca. 30% aus medizinischen Tätigkeiten und zu 70% aus Telefonaten und Berichteschreiben. Mit Gewissheit liegen grundsätzlich Unterschiede je nach Fachrichtung und Institution vor. Jedoch ist der Trend für jeden, der medizinisch Tätig war, klar spürbar: Der Arztberuf bewegt sich weiter und weiter vom Patienten weg hin zu einem Bürojob. Dies wiederspiegelt sich in der Dokumentationswut jeglicher OP-Aufklärungen, Eingriffe, Tagesverläufe, Rezepte, Austrittsberichte, Physio-, Ergo-, Logopädie Verordnungen und vieles mehr.

Dieser Trend wird auch mittels mehreren Studien belegt, erwähnenswert hierunter die Studie von Frey et al., wobei von den durchschnittlich von Assistenzärzten in der Allgemeinen Inneren Medizin gearbeiteten 11.5 Arbeitsstunden in universitären bzw. 11.3 Arbeitsstunden an nicht-universitären Institutionen lediglich 195min (3 Stunden und 15min) respektive 116min (1 Stunde und 56min) direkt mit bzw. am Patienten verbracht wurden. (2) 362 min im universitären Spital und 383min im nicht-universitären Spital wurde in Arbeitsstunden an den Patienten investiert, davon der grösste Anteil zum Berichte schreiben. Die Autoren der Studie empfehlen auch, zur Effizienzsteigerung, einerseits die Delegation administrativer Aufgaben an Dritte, andererseits aber auch den administrativen Support zu verbessern, etwa durch Spracherkennungssysteme oder Formulare.

Die Frage liegt aber auch bei uns! Was soll anders sein? Was braucht es, damit Kolleginnen und Kollegen den klinischen Alltag nicht verlassen wollen? Ist es eine Frage der Arbeitszeit?

(1) Der Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Tätigkeit  Schlussbericht.https://vsao.ch/wp-content/uploads/2019/11/Schlussbericht-Studie-Berufsausstieg-2016_DE.pdf 
(2)  Frey SM, Méan M, Garnier A, Castioni J, Wenger N, Egloff M, Marques-Vidal P, Beer JH. Inter-hospital comparison of working time allocation among internal medicine residents using time-motion observations: an innovative benchmarking tool. BMJ Open. 2020 Feb 16;10(2):e033021. doi: 10.1136/bmjopen-2019-033021. PMID: 32066604; PMCID: PMC7044966.

Weitere spannende Umfragen findest du hier:

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3 Gedanken zu „Ich steige aus!“

  1. Guter Freund

    Der Lohn und die Arbeitsbedingungen der Assistenz- und Oberärzte sind ziemlich schlecht bei langer Ausbildung (und damit verbundenem vorangehendem Lohnausfall) im Vergleich zu Informatik- oder BWL-Absolventen sowie Lehrern. Man startet nach 6 Jahren Studium bei einer 50+ Stundenwoche mit ca. 35.-/h trotz von Beginn an grosser Verantwortung, körperlicher (Schichtarbeit, keine Pausen, lange Arbeitstage, Exposition zu infektiösen Krankheiten) und psychischer (sterbende/aggressive Patienten) Belastung. In Consulting/Pharma hat man kürzere und geregelte Arbeitszeiten, bei besserem Lohn und weniger Verantwortung. Den Lohn erhöhen oder eine 42h-Woche wäre wohl zielführend, um die Abwanderung und dem Ärztemangel entgegen zu wirken.

  2. Massimo Barbagallo

    Sehr spannende Punkte. Das Monetäre und die Arbeitszeit sind sicherlich wichtige Faktoren für die Arbeitsbedingungen. Aber auch die Automatisierung administrativer und für uns sehr mühsamen Aufgaben (Verlaufseinträge, abtippten von Laborwerten, Reha-Anmeldungen) würde doch auch den Beruf attraktiver machen. Dies würde auch Raum schaffen für weitere, spannende Aufgaben wie Forschung und Entwicklung, Teaching, interdisziplinärer Austausch.

    Toll wäre bspw. eine Software, die während der Visite “mithört” und eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte aufschreibt. Dadurch wäre bspw. die/der AÄ/AA nicht damit beschäftigt, alles aufzuschreiben, sondern könnte sich selber auch proaktiv an der Visite mitwirken und das Besprochene verstehen.

    Technologien hierzu gibt es auch schon:

    https://sonix.ai/resources/de/sonix-veroffentlicht-das-weltweit-erste-automatisierte-transkriptions-und-generative-ai-summarization-tool/

    oder von Microsoft

    https://techcommunity.microsoft.com/t5/microsoft-teams-blog/intelligent-meeting-recap-in-teams-premium-now-available/ba-p/3832541

    Hoffentlich lassen sich bald Lösungen zum Thema Datenschutz finden, so dass solche Technologien endlich auch in der Medizin implementiert werden können…

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